Verbraucherschutz oder Eigennutz?


Susanne Heinzl

Folgende Pressemeldung flattert auf den Schreibtisch:

„Bonn, 13.01.03. Einen Konsensus zum sicheren Umgang mit „critical dose“ Medikamenten veröffentlicht jetzt der Bundesverband für Gesundheitsinformation und Verbraucherschutz in Bonn. Auf Empfehlung von Experten aus Medizin, Pharmakologie und Pharmaökonomie fordert der Verband strengere Zulassungsregeln für Generika mit kritischer Dosierung sowie engmaschige Qualitätskontrollen beim Umgang mit diesen Medikamenten.“

Der Konsensus wurde „auf Initiative des Bundesverbandes für Gesundheitsinformation und Verbraucherschutz“ erarbeitet. Verbraucherschutz – das klingt gut. Aber in diesem Fall sind Zweifel angebracht.

Über den Bundesverband für Gesundheitsinformation und Verbraucherschutz – Info Gesundheit e. V. (BGV) lässt sich im Internet nicht sehr viel Information finden. Geschäftsführer ist RA Erhard Hackler, der auch geschäftsführender Vorstand der Deutschen Seniorenliga ist. BGV und Seniorenliga firmieren unter der gleichen Anschrift.

Der BGV gibt an, dass er keine öffentlichen Mittel in Anspruch nimmt. „Das ermöglicht ein rasches, unabhängiges und unbürokratisches Handeln. Unsere Arbeit wird vielmehr ausschließlich durch Spenden und Drittmittel im Rahmen von Kooperationen finanziert. Projektbezogene Kooperationen erfolgen z. B. mit Institutionen, Verbänden, Krankenkassen, Standesorganisationen, Medien, Unternehmen.“

Das Copyright des Konsensus-Papiers liegt laut Impressum bei MedCom international. Medical
& social communication GmbH ist eine Gesellschaft für Kommunikations- und PR-Beratung
im Gesundheits- und Sozialwesen. Solche Agenturen sind zahlreich, und sie arbeiten nicht umsonst.

Bei der Durchsicht des Konsensus-Papiers wird nach wenigen Augenblicken klar, dass dies eine weitere mehr oder weniger verkappte Pharma-Marketing-Aktion ist. Die Beispielpräparate der Broschüre sind Ciclosporin und Carbamazepin.

Das Wort „Konsensus“ wird hier (mal wieder) missbraucht, um dem Leser Kompetenz und Expertise vorzutäuschen.

Die „Experten aus Medizin, Pharmakologie und Pharmaökonomie“, die zu diesem „Konsensus“ zum sicheren Umgang mit „Critical-Dose-Medikamenten“, einem an sich pharmazeutischen Gebiet, gewonnen wurden, sind

  •  ein Pharmakologe,
  •  ein Chirurg,
  •  ein Neuropsychologe und
  •  ein Volkswirt.

Zum Thema „Critical Dose Drugs“ habe ich vor einiger Zeit selbst zwei Beiträge verfasst (siehe Med Monatsschr Pharm 2001;24:73 und Krankenhauspharmazie 2001;22:213-6), die Literatur hierzu ist mir recht gut bekannt. Hierdurch und durch Besuche verschiedener Veranstaltungen ist für mich klar, dass dieser „Konsensus“ in erster Linie auf den Ausführungen des Pharmakologen basiert.

Der am „Konsensus“ beteiligte Pharmakologe Prof. Dr. Karl-Uwe Petersen, Aachen, ist mir mehrfach als Redner bei Veranstaltungen großer Pharmafirmen begegnet. Bei seinen Präsentationen fiel mir immer wieder auf, dass Publikationsdaten in Zusammenhänge gestellt werden, die beim Hörer bzw. Leser eine falsche Schlussfolgerung nach sich ziehen.

So verwendet Professor Petersen in seinen Vorträgen wie auch im Critical-Dose-„Konsensus“ eine Abbildung (siehe nächste Seite) aus dem Newsletter der Collaborative Transplant vom 1. März 2001 (http://www.ctstransplant.org/public/literature/newsletters/2001/gif/2001-1.html), die zeigt, dass bei Nierentransplantationen weniger Transplantate von Patienten, die Ciclosporin-Generika nehmen, überleben als von Patienten, die das Original-Präparat verwenden. Im „Konsensus“ ist wie in der Original-Vorlage angegeben, dass die Daten aus den Jahren 1998 bis 2000 stammen.

Nicht angegeben ist aber im „Konsensus“, dass es sich – so der Urheber dieser Abbildung, Prof. Dr. Gerhard Opelz in Heidelberg, auf unsere Nachfrage – lediglich um eine Sammlung von Fällen handelt, die sozusagen „ohne System“ gemeldet wurden. Es handelt sich weder um eine retrospektive noch um eine prospektive Studie. Diese Daten erlauben also keinerlei Aussagen.

Nicht angegeben wird auch von Professor Petersen, dass in der Originalpräparat-Gruppe die Daten von 16 801 Patienten, in der Generika-Gruppe jedoch nur von 397 Patienten berücksichtigt sind. Auch fehlt die Angabe, um welches generische Präparat es sich handelte, denn auch zwischen verschiedenen Generika können Qualitätsunterschiede bestehen, die bei Critical-Dose-Drugs eine besondere Bedeutung haben.

Nicht angegeben wird von Professor Petersen, dass im Erhebungszeitraum dieser Daten in Deutschland noch gar kein Ciclosporin-Generikum im Handel verfügbar war. Eindeutig soll diese Abbildung aber den Eindruck vermitteln, dass die Überlebenschancen der Nieren mit Generika geringer sind…

Im „Konsensus-Papier“ wird die Bedeutung von Vertrauensgrenzen für die Bewertung der Bioverfügbarkeit von Generika erläutert. Die Angabe der Vertrauensgrenzen in allen Abbildungen des „Konsensus-Papiers“ sucht man allerdings vergeblich.

Die im „Konsensus“ erhobenen Forderungen beinhalten an sich keine großartigen Neuigkeiten. Teilweise muten sie wenig pragmatisch an, wie die Forderung: „Information und Einverständnis des Arztes bei Abgabe eines Aut-idem-Präparats“. Eigentlich weiß der Arzt doch, ob er Aut idem erlaubt oder nicht erlaubt hat…

Ärgerlich an diesem Papier ist vor allem, dass unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes und der „Expertenmeinung“ Ängste geschürt werden und damit Pharma-Marketing betrieben wird. Allerdings: der Adressatenkreis des Papiers bleibt unklar. Der Laie wird wenig von den mit Fachausdrücken durchsetzten Texten verstehen, das Wenige aber vermutlich falsch.

Für Ärzte und Apotheker ist das Papier vermutlich nicht gedacht, denn dann hätte man wohl doch eine fundiertere Aufmachung gewählt?

Gefährlich dürfte es werden, wenn der „Konsensus“ von Journalisten im guten Glauben an den „Verbraucherschutz“ als Basis für weitere Beiträge eingesetzt wird.

Vorsicht vor Verfälschungen – davor warnten wir im Editorial des Februar-Hefts aufgrund einer spanischen Veröffentlichung, die gezeigt hatte, dass pharmazeutische Firmen in der Anzeigenwerbung wissenschaftliche Daten oft in falschem Zusammenhang zitieren. Dass sich diese Warnung aber nicht nur auf Anzeigen bezieht, wird an diesem Beispiel deutlich.

sheinzl@wissenschaftliche-verlagsgesellschaft.de

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