Ältere Menschen, eine neue Risikogruppe im Blickfeld


Heike Oberpichler-Schwenk

Gut 20% der Bevölkerung Deutschlands, also rund 16 Millionen Menschen zählen 65 Jahre oder mehr, und der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe steigt. Auch wenn das biologische Alter deutlich von diesem kalendarischen Alter abweichen kann, geben die Zahlen doch einen Hinweis auf die Zahl der Personen, die in Bezug auf die Arzneimitteltherapie wegen ihres Alters als Risikogruppe anzusehen sind – vor allem weil altersbedingte physiologische Veränderungen die Pharmakodynamik und Pharmakokinetik vieler Arzneistoffe beeinflussen und weil zunehmende Multimorbidität Mehrfachmedikationen erfordert, was ein entsprechendes Interaktionspotenzial birgt. Andererseits steigt gerade wegen der zunehmenden (Multi-)Morbidität im Alter der Bedarf an medikamentöser Behandlung.

Um diesem Dilemma zu begegnen, gab es schon verschieden Ansätze, den Arzneimittelschatz auf seine Eignung für ältere/alte Patienten zu bewerten. Bekannt ist zum Beispiel die US-amerikanische Beers-Liste, die 1991 erstmals publiziert und mehrfach aktualisiert wurde. Eine adaptierte deutsche Fassung ist 2007 an dieser Stelle erschienen (Schwalbe et al., Med Monatsschr Pharm 2007;30: 244–8). Sie nennt 29 Arzneistoffe/Arzneistoffgruppen, die bei älteren Patienten vermieden werden sollten, „weil sie hier verstärkt zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen führen, unwirksam sind oder weil besser verträgliche Alternativen zur Verfügung stehen“. Eine zweite Liste umfasst Arzneimittel, auf die bei älteren Patienten mit bestimmten Erkrankungen verzichtet werden sollte.

Ebenfalls im Jahr 2007 erschien die französische Konsensusliste, in der Laroche et al. 121 unangemessene Arzneistoffe für Ältere zusammenfassten, bewertet als Wirkstoffe mit ungünstigem Nutzen-Risiko-Verhältnis oder/und fraglicher Wirksamkeit sowie als ungünstige Kombinationen. Auf Basis dieser Liste und ergänzender Literaturrecherchen haben Kölzsch et al. eine an den deutschen Markt adaptierte Liste erstellt, die in der letzten Ausgabe der MMP erschienen ist (Med Monatsschr Pharm 2010;33:295–302).

Wenige Tage später wurde als jüngster Beitrag zum Thema die Priscus-Liste veröffentlicht (Holt et al., Dtsch Arztebl Int 2010;107:543–51). Die Zusammenstellung der potenziell inadäquaten Medikation für ältere Menschen (lat. priscus = alt, altehrwürdig) ist das Ergebnis einer Expertenbefragung nach der Delphi-Methode. Aus der Beers-Liste, der Liste von Laroche et al. und zwei weiteren Veröffentlichungen extrahierten die Autoren über 130 potenziell inadäquate Arzneistoffe. Die Experten bewerteten diese gemäß Likert-Skala mit 1 (Arzneistoff, der sicher potenziell inadäquat für ältere Patienten ist) bis 5 (Arzneistoff, der ein vergleichbares Risiko für ältere und jüngere Patienten darstellt; 3=unentschieden). Die Priscus-Liste enthält die 83 Arzneistoffe, die als „potenziell inadäquat“ (2) oder „sicher potenziell inadäquat“ (1) für ältere Menschen eingestuft wurden. Als Mittelwert (Median) aus meist 16 bis 20 Expertenurteilen ergaben sich zum Beispiel 1,29 (1,00) für Methyldopa und für Ticlopidin, 2,19 (1,50) für Tetrazepam und 2,17 (2,00) für nicht retardiertes Nifedipin. Sich nur an diesen Zahlenwerten zu orientieren, greift aber zu kurz. Für die differenzierte Betrachtung sind die Begründungen (erhöhte Toxizität im Alter?, Unwirksamkeit?, Interaktion?) wichtig, die in der vollständigen Liste (www.priscus.net) enthalten sind. Hier findet man auch Informationen zu Therapiealternativen, zu Maßnahmen, falls das Arzneimittel trotzdem verwendet werden soll, und zu Begleiterkrankungen, bei denen das Arzneimittel vermieden werden sollte. Der Beratungsbedarf zu diesem Thema wird zunehmen, nachdem die Liste schon breite öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hat.

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