Neue Strategien für die Akuttherapie bei Schlaganfall


Heike Oberpichler-Schwenk

Bei einem Schlaganfall gilt es, so rasch wie möglich festzustellen, ob ein Gefäßverschluss (ischämischer Schlaganfall) oder – seltener – eine Hirnblutung vorliegt, um eine gezielte Therapie beginnen zu können und möglichst viel Hirngewebe vor dem Untergang zu bewahren. Dies wird mit der Devise „Time is Brain“ treffend bezeichnet. Die spezifische medikamentöse Therapie bei ischämischem Schlaganfall besteht in der Auflösung des Thrombus. Die Thrombolysebehandlung mit Alteplase (Actilyse®) muss laut Zulassung innerhalb von 3 Stunden nach dem Gefäßverschluss eingeleitet werden. Eine Lyse innerhalb von 4,5 Stunden nach Symptombeginn eines ischämischen Schlaganfalls wird in einer Aktualisierung der Leitlinie „Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfallgesellschaft (DSG) empfohlen [1].

In der Praxis stellt sich allerdings häufig das Problem, dass der Beginn der Schlaganfallsymptome gar nicht eindeutig feststeht – zum Beispiel, weil der Schlaganfall im Schlaf eintrat, wie es bei etwa jedem fünften Schlaganfallpatienten der Fall ist. Das sind in Europa rund 400000 Patienten pro Jahr, von denen wiederum schätzungsweise ein Viertel von einer Thrombolyse profitieren würden, wie Prof. Dr. Christian Gerloff, Hamburg, bei einer Fachpressekonferenz erläuterte [2]. Da der Zeitpunkt des Schlaganfalls unbekannt ist, kann die Thrombolyse bei diesen Patienten aber nicht angewandt werden.

Unter Leitung der Neurologischen Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf wurde untersucht, wie der Zeitpunkt des Schlaganfalls mithilfe der Kernspintomographie (MRT) objektiviert werden kann. Hierfür wurden bei Patienten mit bekanntem Schlaganfallbeginn die MRT-Daten ausgewertet. Es wurden zwei verschiedenen Darstellungsverfahren verwendet, nämlich das diffusionsgewichtete MRT (DWI) und das „FLAIR(fluid-attenuated inversion recovery)“-MRT. Veränderungen, die mit dem DWI-Verfahren sichtbar sind, mit dem FLAIR-Verfahren aber (noch) nicht, stammen mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90% von einem Schlaganfall, der jünger als 4,5 Stunden ist [3]. Der Nutzen dieser „Gewebeuhr“ als Voraussetzung für eine Thrombolysetherapie bei im Schlaf erlittenem Schlaganfall wird ab Dezember 2011 in dem europaweiten Projekt WAKE-UP untersucht. Die Studie mit geplant rund 800 Patienten wird von der Europäischen Union mit 11,6 Mio. Euro finanziert.

Ein ganz andere Ansatz, um Hirngewebe vor den Folgen eines Schlaganfalls zu schützen, wird in der Studie EuroHYP-1 verfolgt, die Prof. Dr. Dr. Stefan Schwab, Erlangen, in derselben Pressekonferenz vorstellte: die therapeutische milde Hypothermie [2]. Im Tiermodell ist die neuroprotektive Wirkung einer Absenkung der Körpertemperatur gut etabliert. Bei Patienten wird das Prinzip bereits bei Herz-Kreislauf-Stillstand (im Rahmen operativer Eingriffe) und bei perinataler Asphyxie genutzt. Für die Anwendung bei Schlaganfall gibt es bisher nur – ermutigende – Ergebnisse aus kleineren Studien. In der EuroHYP-1-Studie soll der Nutzen einer moderaten Hypothermie nun europaweit an rund 80 Zentren bei etwa 1500 Patienten untersucht werden. Die Körpertemperatur wird dabei innerhalb von fünfeinhalb Stunden nach Symptombeginn durch Infusion von kalter physiologischer Kochsalzlösung (4°C, 20 ml/kg) auf 34 bis 35°C gesenkt, dann wird die Hypothermie durch Oberflächen- oder endovaskuläre Kühlung für 24 Stunden aufrechterhalten [4]. Die Studie wird ebenfalls von der Europäischen Union mit 11,6 Mio. Euro finanziert. Die häufig gestellte Forderung nach industrieunabhängiger Forschung wird damit also gleich in zwei therapierelevanten Projekten umgesetzt – eine erfreuliche Entwicklung.

1. www.dgn.org/component/content/article/18-leitlinien/535-leitlinien-der-dgn-akuttherapie-des-ischaemischen-schlaganfalls.html?q=schlaganfall

2. Fachpressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) im Rahmen des DGN-Kongresses, Wiesbaden, 30. September 2011.

3. Thomalla G, et al. Lancet Neurol 2011;10:978–86.

4. www.eurohyp.org

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