„Personalisierte Medizin“ zwischen Genom und Person


Heike Oberpichler-Schwenk

Der Begriff „personalisierte Medizin“ (oder „individualisierte Medizin“) hat seit mehreren Jahren vor allem in der Onkologie Konjunktur. Er beschreibt das Konzept, eine medizinische Maßnahme – in erster Linie eine Arzneimitteltherapie – vom Vorliegen bestimmter molekularbiologischer Merkmale („Biomarker“) abhängig zu machen. Bereits vor der Jahrtausendwende wurde der Hormonrezeptorstatus eines Mammakarzinoms als Grundlage der Entscheidung für eine endokrine Therapie etabliert. Der Erfolg dieses Konzepts zeigte sich erst unlängst wieder in den Langzeitergebnissen der Behandlung von Brustkrebspatientinnen mit Tamoxifen: Nur bei Patientinnen mit positivem Estrogenrezeptorstatus verringerte Tamoxifen im Vergleich mit Plazebo das Rezidivrisiko in der rund 15-jährigen Nachbeobachtungszeit (s. Bericht auf Seite 477). Weitere Beispiele für etablierte Anwendungen der personalisierten Medizin sind die Bestimmung des HER2-Status vor einer Trastuzumab-Therapie, die Prüfung eines metastasierten Kolorektalkarzinoms auf ein nicht mutiertes (Wildtyp) KRAS-Gen als Voraussetzung für die Behandlung mit Cetuximab oder Panitumumab oder der Test auf das Philadelphia-Chromosom vor der Leukämiebehandlung mit Dasatinib, Imatinib oder Nilotinib [1].

Die Bestimmung der Biomarker hat zum Ziel, nur diejenigen Patienten zu behandeln, bei denen eine Wirksamkeit des betreffenden Arzneimittels erwartet werden kann. Das bewahrt die anderen Patienten vor einer nutzlosen, aber möglicherweise nebenwirkungsträchtigen Therapie. Und es beschränkt die Anwendung der – in den meisten Fällen teuren – Arzneimittel auf die Erfolg versprechenden Fälle. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass auch die Bestimmung der Biomarker Geld kostet. In diesen Markt setzen die Anbieter offenbar große Erwartungen. So widmet sich eine aktuelle Konferenz dem Thema „Personalisierte Medizin: Wie stellt die Industrie sich auf, um vom Wachstumsmarkt zu profitieren?“

Bei der personalisierten Medizin geht es wie beschrieben darum, Subgruppen von Patienten zu identifizieren – weshalb in der internationalen Literatur zunehmend der Begriff „stratified medicine“ (bzw. stratifizierende Medizin) verwendet wird [1]. Es geht nicht um die Betrachtung des individuellen Patienten als Person im Sinne einer patientenzentrierten Therapie.

Die Grenzen verwischen allerdings, wo die Person beziehungsweise ihre Störungen Gegenstand ärztlichen Tuns sind: Auch in der Psychiatrie und Psychotherapie ist das Schlagwort „personalisierte Medizin“ inzwischen angekommen. So stand der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) vom 23. bis 26. November unter dem Motto „Personalisierte Psychiatrie und Psychotherapie“. Und hier war tatsächlich beides gemeint: einerseits die Rolle von Biomarkern, wie Kandidatengenen für psychische Erkrankungen oder Polymorphismen arzneimittelabbauender Enzyme mit Einfluss auf die Wirkung von Psychopharmaka; andererseits die personalisierte Therapie im Sinne einer auf den individuellen Patienten ausgerichteten Therapie.

Missverständnisse sind bei dieser Begriffsunschärfe nahezu unvermeidlich. Vielleicht ein Anlass, noch einmal grundsätzlich die Sinnhaftigkeit des Begriffs „personalisierte Medizin“ zu hinterfragen, bevor er so unverrückbar geworden ist wie die „evidenzbasierte Medizin“, die sich eben nicht nur auf den Augenschein, die Evidenz im deutschen Wortsinn, verlässt?

Ich wünsche Ihnen im Namen der Redaktion ruhige Festtage und alles Gute für 2012.

1. Siegmund-Schulze N. Personalisierte Medizin in der Onkologie: Fortschritt oder falsches Versprechen? Dtsch Arztebl 2011;108:A1904–9.

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