Zwischen Cidre und Zirrhose


Heike Oberpichler-Schwenk

Mäßiger, kontrollierter Konsum von Alkohol ist in Mitteleuropa gesellschaftlich anerkannt. „Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren“, weiß der Volksmund, und laut Wilhelm Busch ist Rotwein sogar (jedenfalls für „alte Knaben“) „eine von den besten Gaben“. Das Feierabendbier, das Glas Wein zu einem guten Essen und ein Gläschen Hochprozentiges danach bedeuten für viele ein Stück Lebensqualität, wogegen auch wenig einzuwenden ist. Problematisch wird es, wenn Alkohol regelmäßig in zu großer Menge konsumiert wird. Die Auswirkungen von Alkohol auf den Organismus und die gravierenden Folgen eines zu hohen Alkoholkonsums schildern Ströhle et al. in dem Fortbildungsbeitrag des aktuellen Hefts. Die gesundheitlich bedenkliche Alkoholmenge ist demnach sicher geringer, als manchem lieb ist.

Die Übergänge von gemäßigtem zu gesundheitlich bedenklichem Alkoholkonsum sind fließend, und auch der Übergang von kontrolliertem zu nicht mehr kontrollierbarem Alkoholkonsum, also die Entwicklung einer Abhängigkeit, verläuft in vielen Fällen zunächst unbemerkt. Der Ausstieg aus einer Alkoholabhängigkeit setzt den Willen des Betroffenen voraus. Wichtig sind zudem psychosoziale Maßnahmen, um den Betroffenen in seinem Vorhaben zu unterstützen. Im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts können auch Arzneimittel eingesetzt werden. Zur medikamentösen Unterstützung eines Alkoholentzugs stand in Deutschland lange Zeit als einzige Möglichkeit Disulfiram (Antabus®) zur Verfügung, das eine aversive Wirkung hat, also einen Widerwillen gegen Alkohol hervorruft. Im Mai 2011 wurde der Vertrieb von Antabus® allerdings eingestellt.

Als Anticraving-Substanzen stehen Acamprosat (Campral®) und seit Januar 2011 der Opioidrezeptorantagonist Naltrexon (Adepend®) zur Verfügung. Sie sollen das Verlangen nach Alkohol dämpfen und so nach erfolgtem Entzug das Rückfallrisiko verringern. Ziel ist auch hier der Erhalt der Abstinenz.

Dieses Ziel ist in der Praxis schwer zu erreichen. Möglicherweise finden mehr Alkoholabhängige den Zugang zu Entwöhungsprogrammen, wenn ihnen die Hürden nicht zu hoch erscheinen, und könnten schon von einer Verringerung des Alkoholkonsums profitieren. Vor diesem Hintergrund hat die europäische Arzneimittelzulassungsbehörde (EMA) ihre Anforderungen an Arzneimittel zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit vor ein paar Jahren modifiziert: Nach wie vor soll hauptsächliche eine stabile Abstinenz nach einer Entzugsbehandlung angestrebt werden. Als erster Schritt dorthin wird nun aber auch eine klinisch signifikante Reduktion des Alkoholkonsums als Zielgröße für die Arzneistoffprüfung akzeptiert [1]. Zur Quantifizierung der Wirksamkeit dienen die Abnahme der pro Monat konsumierten Alkoholmenge (ausgedrückt als Gramm reiner Alkohol pro Tag) und die Abnahme der Tage mit starkem Alkoholkonsum (Aufnahme von >60 g reinem Alkohol bei Männern und >40 g bei Frauen). Dieses Konzept wurde erstmals bei der Prüfung des Opioidrezeptor-Modulators Nalmefen eingesetzt, dessen Zulassung im Dezember 2011 bei der EMA beantragt wurde. Welchen Nutzen das Konzept langfristig hat, bleibt abzuwarten.

Kurz vor Drucklegung dieses Hefts forderte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Hersteller von verschreibungspflichtigen Protonenpumpenhemmern auf, in der Produktinformation auf das Risiko schwerer Hypomagnesiämien bei Langzeitanwendung oder bei gleichzeitiger Anwendung bestimmter anderer Arzneistoffe (z.B. Diuretika) hinzuweisen. Unser erster Übersichtsbeitrag (S. 274ff.) erhält dadurch unerwartete Aktualität. Ich wünsche hierfür wie für das ganze Heft eine anregende Lektüre.

1. EMA. Guideline on the development of medicinal products for the treatment of alcohol dependence. EMA/CHMP/EWP/20097/2008. www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/Scientific_guideline/2010/03/WC500074898.pdf (Zugriff am 03.05.2012).

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