Die Zahl der Demenzkranken steigt – oder doch nicht?


Heike Oberpichler-Schwenk

Quellen

1. www.bmg.bund.de/pflege/demenz/demenz-eine-herausforderung-fuer-die-gesellschaft.html (Zugriff am 29.10.2013).

2. Matthews FE, et al. A two-decade comparison of prevalence of dementia in individuals aged 65 years and older from three geographical areas of England: results of the Cognitive Function and Ageing Study I and II. Lancet 2013;382:1405–12.

3. Banerjee S. Good news on dementia prevalence – we can make a difference. Lancet 2013;382:1384–6.

Das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, steigt bekanntlich mit dem Lebensalter. Angesichts der demographischen Entwicklung wird deshalb für die nächsten Jahre eine deutliche Zunahme der Zahl der Betroffenen erwartet, mit entsprechenden sozioökonomische Folgen. So heißt es zum Beispiel auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums, dass die Zahl der Demenzkranken in Deutschland von geschätzten 1,4 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 2,2 Millionen steigen könnte [1].

Aber vielleicht darf man das Bild etwas weniger schwarz malen, wie die Ergebnisse einer aktuell veröffentlichten Studie aus England nahelegen [2]. Finanziert vom UK Medical Research Council, hatten Forscher in den Jahren 1990 bis 1993 in der Cognitive Function and Ageing Study I (CFAS I) in drei Regionen die Demenz-Prävalenz bei über 65-Jährigen ermittelt. Dafür waren pro Region zunächst etwa 2500 Personen, stratifiziert in die Altersgruppen 65 bis 74 Jahre und ≥ 75 Jahre, in einem allgemeineren Interview zu Lebensgewohnheiten, Gesundheit, alltäglichen Verrichtungen, Kognition und medizinischer Versorgung befragt worden. Etwa ein Fünftel der Teilnehmer unterzog sich anschließend einem standardisierten Interview, in dem gezielt nach Demenz oder anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen gefahndet wurde.

Die Erhebung wurde nun fast 20 Jahre später in denselben Regionen wiederholt, diesmal mit fast 7800 über 65-Jährigen. Die ausgewählten Personen wurden von ihrem Hausarzt zur Studienteilnahme eingeladen und bei Zustimmung von trainierten Studieninterviewern besucht. Im Unterschied zur CFAS I wurde in der CFAS II bei allen Studienteilnehmern das standardisierte Interview zur Identifizierung einer Demenz durchgeführt. Die Daten wurden nach einem Diagnosealgorithmus automatisiert ausgewertet. Dies erlaubte einen Vergleich zwischen den Kohorten der ersten und der zweiten Erhebung.

Die Untersuchung Anfang der 1990er-Jahre hatte Demenzhäufigkeiten in der bekannten Größenordnung ergeben, mit einer Prävalenz von rund 2% bei den 65- bis 69-Jährigen und deutlich über 20% bei den über 85-Jährigen. Hochgerechnet ergab sich für das Jahr 2001 eine Zahl von rund 664000 Demenzkranken in Großbritannien und Nordirland, also eine Prävalenz von 8,3% der über 65-Jährigen. Unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung wäre für das Jahr 2011 mit 884000 Demenzkranken zu rechnen gewesen. Tatsächlich ergab die CFAS II aber nur eine Zahl von 670000 (6,5% der über 65-Jährigen), also fast ein Viertel weniger als erwartet.

Die Gründe für dieses günstige Ergebnis sind sicher vielfältig. Die Autoren der CFAS II führen unter anderem die verbesserte Prävention vaskulärer Erkrankungen und den inzwischen durchschnittlich höheren Bildungsgrad an. Ein Kommentator nennt gesundheitsbewussteres Verhalten und die verbesserte Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Bluthochdruck – “what’s good for your heart is good for your head” [3]. Von Psychometrie-Experten wird überdies zu beantworten sein, ob die diagnostische Trennschärfe der Interviewfragen noch dieselbe ist wie vor 20 Jahren – und was dies für die Interpretation bedeuten könnte.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass hohes Alter in nicht ganz so hohem Maße mit dem Risiko für eine Demenz asssoziiert sein könnte wie bislang angenommen. Die absolute Zahl der Betroffenen wird dennoch schon aufgrund der noch zunehmenden Zahl alter Menschen weiter wachsen – schon in der CAFS II war sie ja nicht gesunken, sondern lediglich konstant geblieben. Die Demenz bleibt also eine sozioökonomische und medizinische Herausforderung.

Liebe Leserin, lieber Leser, dieser Artikel ist nur für Abonnenten der MMP zugänglich.

Sie haben noch keine Zugangsdaten, sind aber MMP-Abonnent?

Registrieren Sie sich jetzt:
Nach erfolgreicher Registrierung können Sie sich mit Ihrer E-Mail Adresse und Ihrem gewählten Passwort anmelden.

Jetzt registrieren