Prof. Dr. med. Joachim Schmidt, Apotheker Uwe Gröber, Prof. Dr. med. Klaus Kisters
- Empfehlungen zur Nahrungsergänzung trotz fehlender wissenschaftlicher Evidenz
Die Empfehlung von Mikronährstoffen zur Supplementation im Allgemeinen, aber auch für bestimmte Erkrankungen im Besonderen, wie im vorstehenden Fall für Diabetiker, bedarf einer Ernährungsanamnese zur Abschätzung der individuellen Mikronährstoffzufuhr. Aber selbst, wenn sich aus der Auswertung eines Ernährungsprotokolls ein hypothetischer Mangel ergäbe, ist die vorrangige Empfehlung von Supplementen zum Ausgleich oder zur Ergänzung zum gegenwärtigen Zeitpunkt durch keine wissenschaftliche Fachgesellschaft gedeckt.
Das National Center for Complementary and Alternative Medicine (NCCAM) beispielsweise stellt zu der Frage, ob Nahrungsergänzungsmittel bei Diabetes mellitus zu empfehlen seien, fest: „There is not enough scientific evidence to suggest that any dietary supplements can help prevent or manage type 2 diabetes. (Last updated November 2013)“. In Metaanalysen und klinischen Studien konnte weder ein Nutzen von antioxidativen Supplementen bei primärer und sekundärer Prävention [Bjelakovic G, et al. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012;3:CD007176] noch in Hinblick auf die glykämische Kontrolle, den oxidativen Stress oder Entzündung bei Typ-2-Diabetikern [Rytter E, et al. Free radical research, 2010;44:1445–53] festgestellt werden.
Obwohl es derzeit also keinerlei wissenschaftliche Evidenz im Sinne eines positiven Gesamtnutzens einer Nährstoffsupplementation gibt, empfehlen die Autoren des Beitrags „Mikronährstoffe in der Diabetologie“ durchweg eine Nahrungsergänzung der besprochenen Mikronährstoffe durch Supplemente. Die umfassende Darstellung biochemischer Reaktionsketten, bei denen die Mikronährstoffe eine wichtige Rolle spielen, erweckt beim Leser den Eindruck hoher wissenschaftlicher Kompetenz, mit der dann der Leser auch die Empfehlungen zur Nahrungsergänzung mit Supplementen aufnehmen soll. Die Meinung (ernährungs-)medizinischer Fachgesellschaften oder positive Stellungsnahmen der Cochrane Collaboration zu den empfohlenen Nahrungsergänzungen sucht der interessierte Leser vergebens, da es sie bislang auch nicht gibt.
Die getroffenen Empfehlungen zur Nahrungsergänzung mit Supplementen sollten daher als Privatmeinung deklariert werden oder gänzlich wegfallen, denn sie helfen uns in der öffentlichen Apotheke nicht wirklich weiter, wenn man an einem langfristig erfolgreichen Patientenmanagement interessiert ist.
Dr. Gerd Leidig, Leverkusen, Apothekenleiter, Ernährungsberater (Weiterbildung LAK Nordrhein)
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