Von kalten und gordischen Knoten


Rika Rausch

Schilddrüsenkrebs ist weltweit die häufigste endokrine Tumorerkrankung. In Deutschland sind jährlich über 5000 Menschen betroffen [6]. Seit den 1980er Jahren sind die Erkrankungsraten bei den Frauen um 100%, bei den Männern um 75% gestiegen [4]. Zurückzuführen ist diese Entwicklung vor allem auf eine übereifrige Diagnostik.

Noch vor 20 Jahren wurden die meisten Schilddrüsentumoren in Patienten entdeckt, die Symptome einer Luftröhrenkompression oder eine sichtbare Verdickung des Halses aufwiesen [2]. Knoten größer als 20 mm ließen sich mittels Palpation und Biopsie bewerten.

Heutzutage liefern bildgebende Verfahren in einem wesentlich früheren Stadium Hinweise auf Gewebeveränderungen. Mit Ultraschall (Sonographie) können Knoten bereits ab einer Größe von 2 mm detektiert werden [2]. Bei Schilddrüsenproblemen wird zudem oftmals reflektorisch eine Szintigraphie durchgeführt [1]. Dabei werden dem Patienten radioaktiv markierte Teilchen gespritzt, die sich im Organ anreichern und Gammastrahlen aussenden. Mithilfe eines Scanners wird die Strahlung sichtbar gemacht und zu einem Bild zusammengefügt. Ein Szintigramm ist auf dem Titel abgebildet: Rote und gelbe Areale markieren Gebiete mit einer hohen Gewebeaktivität bzw. einer erhöhten Iodspeicherung, blaue solche mit einer niedrigen metabolischen Aktivität.

Die Szintigraphie wird zur Beurteilung herangezogen, wenn sich bei einer Ultraschalluntersuchung auffällige Gewebeveränderungen („Knoten“) finden. Kalte Knoten, also solche, die keine Iodanreicherung aufweisen, haben ein Karzinom-Risiko von 10% und bedürfen daher einer weiteren Abklärung [2]. Schilddrüsenkrebs wird heute bei mehr Patienten nach der Bewertung eines zufällig gefundenen Knotens als nach Bewertung eines symptomatischen Knotens diagnostiziert [2]. Doch nicht jeder Knoten bedeutet Krebs. In 85 von 100 Fällen handelt es sich dabei um ein papilläres Karzinom, das besonders, wenn die Knoten nicht größer als 20 mm sind, mit einer exzellenten Prognose verbunden ist. 99% dieser Patienten werden auch ohne aktives Eingreifen in 20 Jahren noch am Leben sein. Dennoch wird häufig eine Behandlung eingeleitet, bestehend aus der kompletten oder teilweisen Entfernung der Schilddrüse und nachfolgender Radioiod- oder Strahlentherapie. Sicher ist sicher. Allerdings gilt zu bedenken, dass eine Thyreoidektomie die Gefahr einer einseitigen Stimmbandlähmung birgt und die lebenslange Substitution von Schilddrüsenhormonen verlangt. Ein US-amerikanisches Autorenteam fordert deshalb ein Umdenken dahingehend, dass in bestimmten Fällen von Niedrig-Risiko-Tumoren erst einmal abgewartet werden sollte, bevor operiert wird [2]. Ein starkes Argument dafür liefert die Tatsache, dass trotz des Anstiegs der Inzidenz des papillären Schilddrüsenkrebses in den letzten 30 Jahren die Todesrate stabil geblieben ist. Dagegen spricht, dass die wenigsten Patienten beim Wort „Krebs“ geduldig warten möchten. Um den gordischen Knoten zu lösen, schlagen die US-Autoren eine Änderung der Nomenklatur vor: Statt von Krebs sollte nur noch von Niedrig-Risiko-Läsionen (micropapillary lesions of indolent course [micrpPLICs]) die Rede sein.

In Deutschland liegt die Zahl der Schilddrüsenoperationen, bezogen auf die Bevölkerung, um das 3,8-Fache höher als in Großbritannien oder den USA [3]. Laut einer Forsa-Umfrage fürchten sich drei Viertel der Deutschen besonders vor Krebs, gefolgt von der Angst vor Unfällen mit schweren Verletzungen, Demenz und Schlaganfällen [5]. Auch einige deutsche Experten vertreten die Meinung, dass im Bereich Schilddrüse zuviel szintigraphiert und operiert wird [1]. Andere säen Zweifel, da der Verzicht auf eine sofortige OP bisher nicht mit ausreichender Evidenz belegt ist und eine Thyreoidektomie immerhin eine uneingeschränkte Lebenserwartung verspricht [4].

Gesunde Skepsis oder German Angst?

Literatur

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