Unsere Kompetenz ist gefragt


Tanja Saußele

Klinische Leitlinien beziehen sich in der Regel auf ein bestimmtes Krankheitsbild, so beispielsweise die Behandlung der arteriellen Hypertonie bei Kindern und Jugendlichen, über die Sie in diesem Heft auf den Seiten 120ff. eine umfassende Übersicht erhalten. Kommt aber eine weitere Erkrankung hinzu, naheliegend wäre in diesem Fall Diabetes mellitus Typ 2, kann die einfache Umsetzung einer oder mehrerer Leitlinien zu einer komplexen Arzneimittelanwendung (Polypharmazie) mit dem Potenzial für schwerwiegende Arzneimittelinteraktionen führen.

Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert eine aktuelle Publikation von Dumbreck und Kollegen aus Großbritannien [2]. Die Wissenschaftler haben drei klinische Leitlinien des NICE (National institute for health and care excellence) für häufige und chronische Erkrankungen – Diabetes mellitus Typ 2, Herzinsuffizienz und Depression – ausgewählt und systematisch nach möglichen Arzneimittelinteraktionen und dem Einfluss verschiedener Komorbiditäten auf die in den Leitlinien empfohlenen Arzneimittel untersucht. Die Komorbiditäten wurden durch elf weitere NICE-Leitlinien abgedeckt: Vorhofflimmern, Arthrose, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Bluthochdruck, Sekundärprävention nach Herzinfarkt, Demenz, rheumatoide Arthritis, chronische Niereninsuffizienz und neuropathische Schmerzen.

Ein Einfluss auf die in den Leitlinien angewendeten Arzneimittel war am häufigsten bei chronischer Niereninsuffizienz zu finden, auf die in der Regel auch innerhalb einer Leitlinie eingegangen wird (in der NICE-Leitlinie zur Behandlung und zum Management der Depression bei Erwachsenen allerdings nicht). Wie Sie bei einer chronischen Niereninsuffizienz im Rahmen einer Medikationsanalyse vorgehen, wird in unserer Rubrik „Klinische Pharmazie“ auf den Seiten 135 ff. in diesem Heft beschrieben.

Laut Aktionsplan des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland [1] kann davon ausgegangen werden, dass in Deutschland etwa 5% aller Krankenhausaufnahmen durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen bedingt sind; davon sind etwa 25% vermeidbar [1]. Kommt es nach einer solchen Einweisung zum Tod, sind die Ursachen meistens Blutungen oder Nierenversagen [2].

In der oben erwähnten Studie wurden 133 schwere potenzielle Arzneistoffinteraktionen in der Diabetes-mellitus-Typ-2-Leitlinie, 111 in der Herzinsuffizienz-Leitlinie und 89 in der Depressions-Leitlinie identifiziert. Ungefähr 20% davon betrafen jeweils Arzneistoffe der empfohlenen Erstlinientherapie.

Bei der Depressions-Leitlinie war die häufigste potenzielle unerwünschte Arzneimittelwirkung ein erhöhtes Blutungsrisiko. Hier kommen Komorbiditäten wie rheumatoide Arthritis oder die Sekundärprävention eines Herzinfarkts (ungefähr 15% aller Patienten nach einem Herzinfarkt leiden an einer Depression oder erhalten Antidepressiva [2]) ins Spiel; also die Komedikation mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) oder Thrombozytenfunktionshemmern. Diese Patienten sollten daher zusätzlich einen Protonenpumpenhemmer oder gegebenenfalls ein anderes Antidepressivum erhalten. Zu beachten sind hier natürlich die Interaktionen mit weiteren Arznei- mitteln …

Da nicht jede potenzielle pharmakokinetische oder pharmakodynamische Arzneimittelwechselwirkung in einer klinischen Leitlinie aufgeführt werden kann, die meist eine Empfehlung für ärztliches Handeln darstellt, ist hier unsere Kompetenz als Apotheker gefragt.

Für eine erfolgreiche Kommunikation mit dem Arzt und eine evidenzbasierte Beratung der Patienten sollten wir dennoch die medizinischen Aspekte, zum Beispiel eine Leitlinien-gerechte Behandlung, nicht außer Acht lassen.Mit der MMP sind Sie darauf bestens vorbereitet.

Literatur

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