Diabetes mellitus: auch eine Nervensache


Heike Oberpichler-Schwenk

Veränderungen des Lebensstils – insbesondere mehr körperliche Bewegung und eine Ernährungsumstellung – verringern nicht nur das Risiko für die Entstehung eines Typ-2-Diabetes. Sie können auch bereits eingetretenen pathologischen Veränderungen, von der gestörten Glucosetoleranz bis zum manifesten Diabetes mellitus, entgegenwirken, wie Prof. Stephan Martin und Prof. Hubert Kolb in ihrem Übersichtsbeitrag zur „nichtpharmakologischen Diabetestherapie“ (Seite 42 ff.) ausführen. Als schwierig erweist sich in der Praxis die nachhaltige Lebensstilveränderung. Die Patienten immer wieder hierfür zu motivieren, ist eine Aufgabe für viele Beteiligte.

Einen Diabetes mellitus wirksam zu behandeln oder ihn gar nicht erst entstehen zu lassen, lohnt sich aus vielen Gründen. Einer davon ist, dass mindestens ein Viertel der Diabetiker eine Polyneuropathie entwickelt, und zwar teilweise bereits im Stadium des Prädiabetes, also bei gestörter Glucosetoleranz, wie Prof. Thomas Tölle, München, anlässlich eines Pressegesprächs erläuterte. Am häufigsten manifestiert sich die diabetische Polyneuropathie als distal-symmetrische sensomotorische Polyneuropathie, das heißt, betroffen sind zunächst vor allem die Füße und (seltener) die Hände. Die Schädigung der sensiblen Nervenfasern äußert sich bei der klinischen Untersuchung in einer verringerten Wahrnehmung von Vibrationen, Berührung, Druck, Hitze, Kälte und Schmerz.

Die Symptome der diabetischen Neuropathie können sich auf Taubheit oder Gefühllosigkeit, vielleicht noch Kribbeln und Prickeln beschränken. Die schmerzlose Form ist gleichwohl gefährlich, weil infolge der gestörten sensiblen Funktion kleine Verletzungen leicht unbemerkt bleiben. Die diabetische Polyneuropathie trägt dadurch maßgeblich zum diabetischen Fußsyndrom mit der häufigen Folge einer Amputation bei.

Bei einem bedeutenden Anteil der Patienten geht die diabetische Polyneuropathie mit dumpfen, brennenden oder/und stechenden Schmerzen einher. Ein weiteres Symptom ist eine veränderte Empfindlichkeit bei Berührung (Allodynie). Die Beschwerden neigen zur Chronifizierung, da die wiederholten Schmerzreize aus der Peripherie zu einer zentralen Sensibilisierung führen. Laut Praxisleitlinie „Diabetische Polyneuropathie“ der Deutschen Diabetesgesellschaft (Diabetologie 2007;2 [Suppl 2]:S. 150 ff.) haben 10 bis 15 % der manifesten Diabetiker eine chronisch-schmerzhafte Polyneuropathie.

Basistherapie bei schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie ist die Optimierung der Diabeteseinstellung. Wichtig sind zudem die Normalisierung des Blutdrucks und einer Dyslipidämie. Zur medikamentösen schmerzlindernden Behandlung werden Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Imipramin, Duloxetin), Antikonvulsiva (z. B. Carbamazepin, Gabapentin, Pregabalin), Antioxidanzien (Alpha-Liponsäure) und Opioide (z. B. Tramadol, Oxycodon) empfohlen. Nichtsteroidale Analgetika sind hier unwirksam, betonte Prof. Tölle, allerdings würden sie noch oft verordnet. Möglich sei auch eine Lokalbehandlung mit Capsaicin, das aber viele Patienten wegen ihrer ohnehin schon brennenden Schmerzen nicht tolerierten. Eine wichtige Ergänzung sind nichtmedikamentöse Methoden wie Ablenkungs- und Entspannungsverfahren, die bei konsequenter Anwendung das schmerzverarbeitende System so modifizieren können, dass die Patienten ihre Schmerzen weniger wahrnehmen. – Eine absolute Schmerzfreiheit wird allerdings selten erreicht, so dass auch hier gilt: Vorbeugen ist besser als heilen.

Prof. Dr. Dr. Thomas Tölle, München, Pressegespräch von Boehringer Ingelheim und Lilly im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Berlin, 13. September 2007.

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