Wie geht es MS-Patienten in Deutschland?


Heike Oberpichler-Schwenk

EDSS = Expanded Disability Status Scale (Kurtzke-Skala)

Zur Beurteilung des Grads der Behinderung eines MS-Patienten aufgrund einer standardisierten neurologischen Untersuchung. Unter Bezug auf die Gehfähigkeit einerseits und weiterer acht Funktionssysteme (z. B. Motorik, Sensibilität, mentale Funktionen) ergibt sich ein EDSS-Score zwischen 0 (normaler Befund) und 10 (Tod durch MS).

In Deutschland sind schätzungsweise 120 000 bis 140 000 Patienten an multipler Sklerose (MS) erkrankt. Zu ihrer Versorgungssituation gab es bislang nur unzureichende Daten, sieht man von Teilaspekten wie den Verordnungsdaten der einschlägigen Immuntherapeutika (z. B. Beta-Interferone) ab.

Um repräsentative Daten zur Versorgungssituation von MS-Patienten zu erhalten, hat die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) im Jahr 2001 ein MS-Register ins Leben gerufen. Nach einer zweijährigen Pilotphase zur Optimierung des Fragebogens läuft das Register seit Mitte März 2005. Die bis zum Stichtag 31. Dezember 2006 erhobenen Befunde wurden am 15. Februar im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. Die Analyse von 5 445 Datensätzen aus 35 Zentren ergab unter anderem Folgendes:

Die Patienten waren zum Zeitpunkt der Erhebung im Durchschnitt 44,2 Jahre alt. Sie waren im Mittel mit 31,4 Jahren erkrankt, überwiegend (70 %) zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Vom Krankheitsbeginn bis zur Diagnosestellung vergingen im Mittel 3,4 Jahre.

Frauen waren häufiger betroffen als Männer (72 % vs. 28 %).

Am häufigsten war ein schubförmiger Verlauf (55 %). An der sekundär chronisch-progredienten Verlaufsform litten 32 % der Patienten, an der primär chronisch-progredienten Verlaufsform 9 %. Bei 16,9 % der Patienten war der Zustand im letzten Jahr stabil geblieben. Etwa ebensoviel Patienten (17,1 %) wiesen eine rasche Progression beziehungsweise mehr als einen Schub im letzten Jahr auf. Mehr als die Hälfte der Patienten (56 %) hatte eine langsame Progression beziehungsweise weniger als einen Schub pro Jahr.

51 % der Patienten hatten einen EDSS-Score < 4, waren also noch uneingeschränkt gehfähig, 28 % benötigten eine Gehhilfe, um 100 m weit zu gehen (EDSS ≥ 6), 6 % waren ständig auf einen Rollstuhl angewiesen (EDSS ≥ 8). Naturgemäß nahm der Behinderungsgrad mit dem Alter zu, aber immerhin konnten im Schnitt 60 % der Patienten im Alter von 50 Jahren und 40 % mit 60 Jahren noch ohne Gehhilfe mehr als 100 m weit gehen.

Die relativ günstigen Ergebnisse zum Verlauf und Behinderungsgrad sind allerdings nicht Ausdruck des natürlichen Krankheitsverlaufs, sondern spiegeln eher die wirksame Behandlung der MS wider. Eine immunmodulatorische Therapie, wie sie von den Fachgesellschaften empfohlen wird, erhielten immerhin 71 % der Patienten, und zwar mehrheitlich (37,6 %) ein Beta-Interferon. Relativ häufig wurde auch Glatirameracetat (8,9 %) oder – als Eskalationstherapie bei chronisch-progredientem Verlauf – Mitoxantron (10,4 %) oder eine i. v. Glucocorticoid-Pulstherapie (8,5 %) gegeben.

Ein Defizit besteht dagegen bei der gezielten Therapie häufiger MS-Symptome. Am auffälligsten war dies bei der schnellen Erschöpfbarkeit (Fatigue) und bei kognitiven Störungen, die zu 79 % bzw. 83 % unbehandelt blieben. Diese Symptome belasten die Patienten aber im Alltag erheblich und dürften dazu beitragen, dass viele sich den Anforderungen einer Berufstätigkeit nicht gewachsen sehen. Voll berufstätig waren nur 27,9 % der erfassten Patienten, 39,4 % waren vorzeitig berentet. Von Letzteren hatten immerhin 14,8 % einen EDSS ≤ 3,5 und waren demnach uneingeschränkt gehfähig – was offenbar nur ein Teil der Wahrheit über den Behinderungsgrad im Alltag ist.

Nicht erfasst wurde, in welchem Ausmaß die Patienten komplementäre und alternative Therapien nutzen. Welche Angebote es hier gibt und was sinnvoll sein kann oder auch nicht, können Sie ab Seite 89 lesen.

Quelle

Flachenecker P, et al. Multiple-Sklerose-Register in Deutschland. Dtsch Arztebl 2008;105:113–9.

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