Aspekte der frühen MS-Therapie


Heike Oberpichler-Schwenk

Die multiple Sklerose (MS) ist eine Autoimmunerkrankung, die durch entzündliche und degenerative Prozesse im ZNS gekennzeichnet ist. In den meisten Fällen verläuft sie schubförmig mit vollständiger oder weitgehender Remission zwischen den Schüben; seltener ist ein primär progredienter Verlauf. Während eines Schubs wird immunsuppressiv behandelt, in der Regel mit einem hochdosierten Glucocorticoid. Um weitere Schübe zu verhindern/verzögern beziehungsweise diese zu mildern, sind immunmodulatorische Therapien etabliert, vor allem Interferone (Interferon beta-1b [Betaferon®, Extavia®), Interferon beta-1a [Avonex®, Rebif®]) und Glatirameracetat (Copaxone®).

Inwischen empfiehlt zum Beispiel die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie einen Therapiebeginn bereits nach dem ersten Schub. Grundlage hierfür sind zum einen verfeinerte Diagnosemöglichkeiten und veränderte Diagnosekriterien, die eine frühzeitige Diagnose erlauben: Während früher ein zweiter Krankheitsschub Voraussetzung für die Diagnose multiple Sklerose war, kann die Diagnose heute bereits nach dem ersten Schub gestellt werden, wenn kernspintomographisch in den folgenden Wochen charakteristische Läsionen im Hirngewebe nachgewiesen werden, teils unterstützt von Laborbefunden (z.B. Liquoruntersuchung). Die zweite Grundlage für einen frühen Therapiebeginn liefern klinische Studien, in denen gezeigt wurde, dass der Einsatz der verlaufsmodifizierenden Arzneistoffe bereits nach dem ersten MS-verdächtigen Ereignis (Schub) die Zeit bis zum Auftreten weiterer Schübe und die kernspintomographisch nachgewiesene Krankheitsprogression signifikant verzögert.

Der frühzeitige Therapiebeginn bedeutet eine Ausweitung des Verbrauchs – angesichts der hohen Kosten der immunmodulatorischen Therapien eine problematische Entwicklung, die eine umfassende Nutzenbewertung sinnvoll erscheinen lässt.

Eine weitere Bedeutung erfährt die „frühe MS-Therapie“ mit Blick auf einen glücklicherweise kleinen Anteil der Patienten: Kinder mit multipler Sklerose. Bei 3 bis 10% der Patienten tritt die Erkrankung bereits vor dem 16. Geburtstag klinisch in Erscheinung. Ihr jüngster Patient war vier Jahre alt, sagte Prof.Dr. Jutta Gärtner bei einer Pressekonferenz von Bayer HealthCare in Berlin. Sie leitet das Deutsche Zentrum für MS im Kindes- und Jugendalter in Göttingen.

In Deutschland erkranken jährlich schätzungsweise 100 bis 200 Kinder an MS, meist schubförmiger MS mit oft vollständiger Remission zwischen den Schüben. Unter 12 Jahren sind Jungen noch etwa gleich häufig betroffen wie Mädchen, danach seltener. Die Wahrscheinlichkeit, dass kernspintomographisch nachgewiesene Läsionen wieder verschwinden (Remyelinisierung), ist bei Kindern größer. Ein Problem ist die kognitive Beeinträchtigung, die sich nachteilig auf Schulleistungen und soziale Interaktionsfähigkeit auswirkt.

Die Schubtherapie erfolgt auch bei Kindern mit hochdosierten Glucocorticoiden (an drei aufeinander folgenden Tagen je 20 mg/kg Methylprednisolon, max. 1 g/Tag). Für die immunmodulatorische Therapie liegen wenig Daten vor. Interferone und Glatirameracetat sind bei Kindern unter 12 Jahren kontraindiziert. Bei Kindern ab 12 Jahren werden Betaferon®, Extavia®, Copaxone® und Avonex® in der Erwachsenendosierung, Rebif® mit 22 µg 3-mal wöchentlich eingesetzt. Mit Blick auf die möglichen tiefgreifenden Langzeitfolgen der Erkrankung empfiehlt die internationale Kinder-MS-Studiengruppe einen frühen Therapiebeginn. Eine Datenbasis dafür gibt es aber noch nicht. Für Betaferon® beginnt zurzeit eine offene, einarmige Beobachtungsstudie (BETAPAEDIC), in der bei über 12-jährigen Patienten über 24 Monate der Krankheitsverlauf verfolgt und Sicherheitsdaten erhoben werden.

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