Eine Frage der Kompetenz


Rika Rausch

Aufklärung lautet das Schlüsselwort im Kampf gegen das Ebola-Fieber. Seit März erkrankten in Westafrika bereits über 2600 Menschen [1]. Bisher stehen keine klinisch geprüften, zielgerichteten Therapieoptionen zur Verfügung; die Behandlung erfolgt notgedrungen rein symptomatisch. Oberstes Ziel bei Viruserkrankungen ist die Unterbrechung der Infektionskette. Die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben zu diesem Zweck über 350 Millionen Dollar bereitgestellt [2]. Die Menschen müssen informiert werden über Reservoirwirte des Ebola-Virus, Übertragungswege und Schutzmaßnahmen. Soweit die Theorie.

Die Mission gestaltet sich schwierig. Aufklärung muss in den Köpfen der Menschen stattfinden. Doch in den Köpfen der Bewohner Westafrikas herrschen traditionelle Überzeugungen und Glauben vor – und Misstrauen gegen ausländische Hilfe. Einheimische sprechen über das Ebola-Fieber von der „Hexenkrankheit“, von „einer Erfindung der Politiker“ [3]. Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, die von den Helfern propagiert werden, sind nicht vereinbar mit tief verwurzelten Riten im Totenkult wie dem Küssen von Verstorbenen sowie alltäglichen Dingen wie dem Verzehr von Bushmeat, also Fleisch von (möglicherweise infizierten) Wildtieren. Die Einsicht für Verbote fehlt. Mangelhafte Informationspolitik, Verleugnung und Verschwörungstheorien bringen jeden Pandemie-Plan ins Wanken.

Auf europäischem Boden fürchtet man dagegen trotz Direktflügen in die betroffenen Regionen Afrikas keinen Ausbruch des hämorrhagischen Fiebers. Das Sicherheitsnetz ist dicht: Infizierte Personen werden sofort isoliert – zur Sicherheit auch Nicht-Infizierte, wie der Fall einer Frau in einem Berliner Jobcenter Mitte August zeigte. Hierzulande glaubt man nicht an Hexerei, man isst kein infiziertes Affenfleisch, man kennt sich aus mit Desinfektion. Und man hat den Feind vor Augen: eine elektronenmikroskopische Aufnahme des Ebola-Virus. Die deutschen Bürger sind informiert und vorgewarnt.

Aber sind wir wirklich so aufgeklärt? Eine bundesweite Repräsentativumfrage unter gesetzlich Versicherten kam zu einem überraschenden Ergebnis [4]: Die Deutschen sind nur unterdurchschnittlich gesundheitskompetent – trotz Aufklärung. Gesundheitskompetenz (Health Literacy) bezeichnet die Fähigkeit des Einzelnen, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Es geht um die Herausforderung, gesundheitsrelevante Informationen zu filtern, zu evaluieren und anzuwenden. Der Index-Wert der Deutschen beträgt 31,9 (berechnet im Rahmen des European Health Surveys); innerhalb der EU liegt dieser bei 33,8. 45% der gesetzlich Versicherten in Deutschland haben einen „problematischen“ Kenntnisstand in Hinblick auf Gesundheit, 14,5% einen unzureichenden. Mehr als die Hälfte der Befragten haben Schwierigkeiten bei den Themen Krankheitsbewältigung und Prävention. 11,7% tun sich schwer, medizinischen Therapieanweisungen zu folgen.

Das Leben in Industrieländern bietet alle Voraussetzungen, um gesund alt zu werden. Umgekehrt ermöglicht es auch einen ungesunden Lebensstil. Laut der Umfrage haben 89,9% der Deutschen zwar kein Problem damit, „Gesundheitswarnungen vor Verhaltensweisen wie Rauchen, wenig Bewegung oder übermäßiges Trinken zu verstehen“ [4], die Zahlen sprechen allerdings dafür, dass nicht alle aus diesem Wissen Lehren ziehen: 29,7% der Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren rauchen; 67,1% der Männer und 53,0% der Frauen sind übergewichtig (Body-Mass-Index ≥25 kg/m2); 41,6% der Männer und 25,6% der Frauen betreiben Risikokonsum von Alkohol [5]. Da stellt sich die rhetorische Frage, was bedenklicher ist: im Unwissen Fehler zu begehen oder im vollen Bewusstsein.

Literatur

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