Die Ratte und das Gift


Rika Rausch

Literatur

Das Literaturverzeichnis finden Sie im Internet (www.medmopharm.de) unter „Archiv“, „Literatur“, Heft 12/2014.

Weihnachtszeit ist Märchenzeit. Der „Rattenfänger von Hameln“, der mit seiner Flöte zunächst die Ratten und später, als man ihm den Lohn verweigerte, auch die Kinder aus der Stadt lockte, zählt zu den bekanntesten deutschen Sagen. Den wahren Kern der Erzählung vermuten einige in der Flucht vor der Pest, die durch Ratten verbreitet wird [11]. Glaubt man den Gebrüdern Grimm, kam der Rattenfänger im Jahre 1284 nach Hameln; der „Schwarze Tod“ erreichte Europa aber erst 1347. Nichtsdestotrotz galten Ratten wegen ihres Körnerfraßes schon vor der Pest als gefährliche Schädlinge, die man zu bekämpfen versuchte, allerdings eher mit Gift als mit Musik.

Bis etwa 1950 wurden zu diesem Zweck Arsenverbindungen, Strychnin oder Thalliumsalze verwendet. Diese Stoffe sind für Tiere als auch für Menschen (Napoleon soll an arsenhaltigem Rattengift gestorben sein [9]) hoch toxisch und in Deutschland heute nicht mehr allgemein für diese Anwendung zugelassen. Ersatz bieten die Vitamin-K-Antagonisten: Durch die Aufnahme von Antikoagulanzien sterben die Tiere in der Regel innerhalb weniger Tage an inneren Blutungen. Die zeitverzögerte Wirkung birgt den Vorteil, dass die Nager das Verenden ihrer Artgenossen („Vorkoster“) nicht mit der Futteraufnahme in Zusammenhang bringen. Zu den Antikoagulanzien der ersten Generation (first-generation anticoagulant rodenticides, FGAR) zählen Warfarin und Coumatetralyl [2], von denen der Schädling mehrere Köder aufnehmen muss, bevor eine tödliche Dosis erreicht wird. Den Großteil (~88%) der bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gemeldeteten Rodentizide machen Vertreter der zweiten Generation (second generation anticoagulant rodenticides, SGAR) wie Bromadiolon, Difenacoum und Flocoumafen aus. Obwohl sie allesamt potenzielle PBT-Stoffe (persistent, bioakkumulierend, toxisch) darstellen, sind sie derzeit für den Infektionsschutz unabdingbar, da gleichermaßen wirksame und weniger gefährliche Alternativen fehlen.

Das Inverkehrbringen und die Verwendung von Rodentiziden wird in der EU-Verordnung über Biozidprodukte (BPR, Nr. 528/2012) geregelt [10]. Ein unsachgemäßer Umgang kann eine Vergiftung von Nichtzieltieren (z.B. Schleiereule, Mäusebussard) zur Folge haben. Maßnahmen zur Risikominderung sind rechtsverbindliche Kriterien einer guten fachlichen Anwendung (GfA) und eine Beschränkung der Verwenderkategorie; SGAR dürfen demnach ausschließlich von Personen mit Sachkundenachweis nach Gefahrstoffverordnung (Anhang 1) angewendet werden, darunter von Apothekern [3, 6]. Verwender ohne Sachkunde (u.a. Verbraucher) dürfen nur FGAR und nur in und unmittelbar um Gebäude verwenden. Die Kontrolle der Einhaltung dieser Regeln obliegt den Bundesländern [2]. Dass Rattengift dennoch in die falschen Hände geraten kann, belegen die Schlagzeilen in regelmäßigen Abständen: „Fleischbällchen mit Rattengift“ [8], „Rattengift auf Brötchen“ [5], „Rattengift-Vorwürfe gegen Discounter“ [1] … In Nigeria wählte eine 14-Jährige „Rattengift als letzten Ausweg“, um ihren Ehemann loszuwerden [9].

Eine weitere Tragödie ereignete sich vor kurzem in Indien: Bei einer Massensterilisation starben 14 Frauen, nachdem sie mit verunreinigten Medikamenten behandelt wurden [4]. In Proben wurde das als Fraßgift für Ratten eingesetzte Zinkphosphid nachgewiesen, das in Kontakt mit Magensäure hochgiftigen Phosphorwasserstoff bildet. Die Direktoren der verantwortlichen Pharmafirmen wurden inzwischen verhaftet.

Ein Märchen ist, dass so etwas auf dem deutschen Arzneimittelmarkt nicht passieren kann. Immerhin werden mittlerweile etwa 80% der Arzneimittel im Ausland produziert, vorwiegend in Indien und China [7]. Zwar gelten dort die gleichen Qualitätsanforderungen wie hier, jedoch wird es zunehmend schwieriger, die Hersteller im Ausland wirksam zu kontrollieren. Und wenn wir nicht gestorben sind …

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