Besinnliche Weihnachten


Rika Rausch, Stuttgart

Der weihnachtliche Kaffeetisch ist reich gedeckt. Sich zwischen gebrannten Mandeln, Mandarinen und Schokoladenweihnachtsmännern zu entscheiden, ist schlichtweg unmöglich, weshalb man beherzt bei allen dreien zugreift. Natürlich dürfen auch selbstgebackene Plätzchen – oder Gutsle, wie man im Schwäbischen sagt – nicht fehlen. Unzählige Aromen steigen in die Nase und führen zu einer wahren Explosion von Sinneseindrücken.

Der Duft von 4-Hydroxy-3-methoxybenzaldehyd ist besonders intensiv und verspricht einen süßen Genuss. Der Aromastoff gelangt zum Riechepithel in der oberen Nasenmuschel und stimuliert bestimmte Rezeptorproteine der Riechzellen. Dieser Kontakt setzt einen intrazellulären Signalverstärkungsmechanismus in Gang, der zu einem sprungartigen Anstieg von cAMP und zu einer Öffnung cAMP-gesteuerter Kationenkanäle bzw. einer Depolarisation der Riechzellen führt. Am Übergang zum Axon bewirken diese Sensorpotenziale Änderungen der Aktionspotenzialfrequenz, die an das Riechhirn im Paläocortex weitergeleitet werden. Im limbischen System und im Hypothalamus werden die Geruchsinformationen weiterverarbeitet und lösen Emotionen sowie vegetative und affektive Begleitreaktionen aus [4].

Die Aufklärung der olfaktorische Wahrnehmung erfolgte erst im Jahr 2004 und wurde mit den Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Der Geruchssinn ist Teil eines multisensorischen Geschehens und essenziell für den Genuss. Etwa 5% der Deutschen erleben jedes Jahr ein geruchloses Weihnachten: Sie leiden unter Anosmie, also unter einem kompletten Verlust bzw. einer deutlichen Einschränkung des Geruchssinns. Ab einem Alter von 50 Jahren hat ein Viertel der Bevölkerung ein verschlechtertes Riechvermögen [3]; bei den über 80-Jährigen sind es 75% [2].

Riechverlust ist primär nicht lebensbedrohlich, allerdings führt die fehlende Warnfunktion leicht zu Lebensmittelvergiftungen [3]. Der Betroffene nimmt beispielsweise Buttersäure als Zeichen von Fäulnis oder 2-Methylisoborneol bei Anwesenheit von fauligem, ungenießbarem Wasser nicht mehr wahr. Andersherum kann er Speisen und Getränke nicht beurteilen; die „Belohnung“ durch Essen und Trinken entfällt und die Lebensqualität ist stark eingeschränkt. Der Verlust des Geruchssinns äußert sich bei vielen Patienten zuerst als Minderung der Geschmackswahrnehmung.

Riechstörungen (Dysosmie) können verschiedene Gründe haben. In dieser Ausgabe informieren wir Sie ab Seite 489 über Ursachen und Auswirkungen einer eingeschränkten Nasenatmung, darunter die Rhinosinusitis als eine der Hauptursachen von Riechstörungen.

Von Arzneimitteln ist bekannt, dass Chemotherapeutika (z.B. Doxycyclin, Methotrexat), Betablocker, Calciumantagonisten und ACE-Hemmer Störungen des Geruchssinns bedingen können [1]. Da sich olfaktorische Rezeptorzellen regenerieren können, sind diese unerwünschten Wirkungen nach dem Absetzen des Arzneimittels in der Regel jedoch reversibel.

Daneben können Riechstörungen als Frühsymptom von neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Alzheimer-Demenz auftreten. Rund 95% der Patienten mit idiopathischem Parkinson-Syndrom leiden unter einer Dysosmie [3]. Man nimmt an, dass die olfaktorischen Störungen den motorischen Symptomen etwa vier bis sechs Jahre vorausgehen. Die Autoren eines in diesem Jahr publizierten Reviews erinnern daran, Riechtests verstärkt in der Diagnostik von neurologischen und neurodegenerativen Erkrankungen einzusetzen [2]. Olfaktorische Untersuchungen lassen eine Unterscheidung zwischen Morbus Parkinson und anderen Parkinson-Syndromen wie progressiver supranukleärer Blickparese zu; ebenso hilfreich sind sie bei einer Differenzialdiagnose von Major-Depression und M. Alzheimer. Dysosmie könnte zudem im Rahmen eines Screenings ein früher diagnostischer Marker für das Auftreten von M. Alzheimer bei Hochrisiko-Individuen sein.

Kausale Behandlungsmöglichkeiten von Riechstörungen bestehen derzeit nur für nasale Erkrankungen. Näheres erfahren Sie im Artikel „Die behinderte Nasenatmung“.

Wir wünschen Ihnen eine schöne Weihnachtszeit mit allen Sinnen und viel Freude bei der Lektüre der prall gefüllten Dezemberausgabe der MMP! Wie wäre dazu eine Tasse Tee und Gebäck mit 4-Hydroxy-3-methoxybenzaldehyd? Unter etwas appetitlicheren Namen bekannt und beliebt als Vanillekipferl – dialektunabhängig.

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