Diabetes: Rückschritt statt Fortschritt?


Dr. Tanja Saußele, Stuttgart

Bereits vor über 3500 Jahren wurde Diabetes mellitus von den alten Ägyptern als ein Zustand beschrieben, bei dem eine Person übermäßig uriniert und Gewicht verliert. Im 19. Jahrhundert wurde Diabetes mellitus dann als klinisches Erscheinungsbild erkannt. Über die Ursachen oder Prävalenz war allerdings nichts bekannt. Es gab keine wirksame Behandlung und die Erkrankten starben innerhalb von Wochen oder Monaten nach der Diagnose. In den darauffolgenden 200 Jahren wurden bedeutende Fortschritte beim Verständnis der zugrunde liegenden Ursachen des Diabetes mellitus und den Ansätzen zur Prävention und Behandlung verzeichnet: Bislang wurde der Nobelpreis zehnmal an Forscher vergeben, die entscheidende Entwicklungen im Hinblick auf die Diabetesforschung und den Glucosestoffwechsel gemacht haben [5]. Mit über 70 Beiträgen zum Thema Diabetes konnten wir Sie in den letzten zehn Jahren mit der MMP auf dem Laufenden halten. Durch die heutige Therapie hat sich der Ausblick für die Patienten enorm verbessert. Die Patienten können über mehrere Jahrzehnte ein aktives und produktives Leben führen, haben aber immer noch eine reduzierte Lebenserwartung. Es besteht der Bedarf nach weiteren Wirkungsprinzipien. In unserer Rubrik Pharmakologie aktuell ab Seite 50 erhalten Sie eine Übersicht über neue Ansatzpunkte in der Pharmakotherapie des Diabetes.

Trotz dieser enormen Fortschritte ist global betrachtet der Fortschritt für die Bewältigung dieser Erkrankung gering. Vor zwei Jahrhunderten war die Erkrankung bei den meisten Personen durch einen schweren Insulinmangel gekennzeichnet (Diabetes mellitus Typ 1). Heutzutage ist das klinische Spektrum, auf das wir treffen, weitaus vielfältiger. Patienten mit Typ-1-Diabetes machen in Deutschland etwa einen Anteil von 5% aus; 90% der Patienten leiden an Diabetes mellitus Typ 2 – gekennzeichnet durch eine Insulinresistenz und eine beeinträchtige Betazellfunktion [2]. Nach den Ergebnissen des Deutschen Gesundheitssurveys aus dem Jahr 2012 leiden ungefähr 7,2% der deutschen Bevölkerung an einem bekannten Diabetes mellitus [1]. Gegenüber dem Jahr 2000 war ein dramatischer Anstieg um fast 50% zu beobachten; die über 60-Jährigen machten dabei den größten Anteil aus [1].

Die weltweite Prävalenz mit 9% bei Erwachsenen überschreitet sogar noch die Zahlen aus Deutschland und steigt bedenklich [3]. 2012 starben schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen an den direkten Folgen dieser Erkrankung [3]. Nach Berechnungen der WHO wird Diabetes mellitus bis zum Jahr 2030 die siebthäufigste Todesursache sein [3].

Nach wie vor existiert keine kurative Behandlung, jedoch gibt es wirksame und kostengüstige Strategien zur Prävention. Die wichtigsten Faktoren, die mit der erhöhten Prävalenz von Diabetes mellitus Typ 2 in Verbindung stehen, sind die Zunahme des Körpergewichts sowie mangelnde Bewegung. Genau das spiegelt sich bei den meisten Typ-2-Diabetikern wider: Übergewicht mit einer Insulinresistenz und beeinträchtigten Insulinsekretion. Vor über zehn Jahren konnte bereits im Diabetes Prevention Program, an dem mehr als 3000 Patienten teilnahmen, gezeigt werden, dass körperliche Aktivität und eine Reduktion des Körpergewichts das Diabetesrisiko bei prädisponierten Personen um 58% reduzieren kann [4]. Bei den Leitlinien der unterschiedlichen Fachgesellschaften zur medikamentösen Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2, zu denen Sie auf den Seiten 58 ff. eine Übersicht finden, steht die nichtmedikamentöse Basistherapie (Ernährungsumstellung, Steigerung der körperlichen Aktivität sowie Reduktion von Tabak- und Alkoholkonsum) an erster Stelle und bleibt fester Bestandteil einer jeglichen Therapie. Dennoch stehen wir immer noch vor der Herausforderung, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Therapie einzubinden und das Verhalten der Patienten zu beeinflussen. Teambasierte Ansätze, die unter anderem Ärzte, Krankenschwestern und Ernährungsexperten einbeziehen, stehen derzeit an vorderster Stelle. Auch Apotheker sollten hier mitwirken und können die Patienten unterstützen, Prioritäten zur Verbesserung ihrer Gesundheit zu setzen. Fragen Sie Ihre Diabetes-Patienten, ob sie sich regelmäßig körperlich betätigen? Haben Sie sie schon einmal auf die Wirksamkeit einer Ernährungsumstellung oder auf die Auswirkungen eines zu kurzen Nachtschlafs hingewiesen?

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