Die Saison ist eröffnet


Rika Rausch, Stuttgart

Pollen gibt es ab jetzt wieder in allen Variationen. Zum Auftakt des Frühlings präsentieren sich Hasel und Erle gewohnt reizend von der Küste Deutschlands bis zum Alpenrand. Dank des kurzen und milden Winters gewährten sie in diesem Jahr sogar schon vor Beginn der eigentlichen Allergiesaison einen verheißungsvollen Vorgeschmack, bei dem man sich vor Staunen die Augen reibt. Die Birke kommt auch 2016 nicht aus der Mode und ist mittlerweile ein echter Klassiker: Schätzungen zufolge stammen 50 % aller Baumpollen, die Heuschnupfen auslösen, von der Birke [3]. Ein echtes Muss für jeden trendbewussten Allergiker – mit vielen Kombinationsmöglichkeiten für Kreuzreaktionen! …

Jedes Jahr beginnt mit der Pollensaison eine Leidenszeit für Allergie-Geplagte mit typischen Symptomen wie Niesen, Fließschnupfen und Augenjucken. Fast jeder fünfte Deutsche leidet unter einer Pollenallergie [5]. Während die Beschwerden früher mitunter nur vier bis sechs Wochen im Jahr anhielten, haben die Betroffenen heutzutage länger mit den Symptomen zu kämpfen. Ein Grund sind die sich verändernden klimatischen Gegebenheiten: Durch das mildere Wetter setzen die Blühperioden früher ein, abhängig von der geographischen Lage bereits zur Weihnachtszeit.

Und dann gibt es noch einen neuen Trendsetter unter den Allergenen, der die Saison bis tief in den Herbst hinein verlängern kann: Ambrosia artemisiifolia. Das (zu deutsch) Beifußblättrige Traubenkraut stammt aus Nordamerika und wurde vor etwa 150 Jahren nach Europa eingeschleppt [1]. In den USA reagieren etwa 10 % der Bevölkerung sensibel auf Artemisia-Pollen. In Wien stieg die Zahl in den vergangenen fünf Jahren von 18 auf 37 %. Mittlerweile hat das hochallergene Gewächs auch Deutschland erobert und es gilt, eine weitere Ausbreitung zu verhindern.

Die allergische Rhinitis ist in der Regel ein Fall für die Selbstmedikation. Versicherte ab 18 Jahren müssen die Kosten für freiverkäufliche Antiallergika privat tragen. Eine Therapie mit verschreibungspflichtigen Antihistaminika kann Patienten finanziell entlasten, darf aber nur in schweren Fällen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erfolgen, wenn eine Behandlung mit topischen Glucocorticoiden und nicht verschreibungspflichtigen Antihistaminika (z.B. Dimetinden, Loratadin, Cetirizin) nicht ausreichend wirksam ist.

Der rezeptpflichtige Wirkstoff Desloratadin kam 2001 gerade rechtzeitig zum Patentablauf seiner (freiverkäuflichen) Muttersubstanz auf den Markt. Desloratadin ist der pharmakologisch aktive Hauptmetabolit von Loratadin und als solcher mit einigen Vorteilen verbunden: schnellerer Wirkungseintritt (da keine Aktivierung nötig), 2,5- bis 4-fach erhöhte Wirksamkeit im Vergleich zur Muttersubstanz (da höhere Rezeptoraffinität) und eine nachgewiesene antiinflammatorische Wirkung [2]. Die Nettokosten pro definierte Tagesdosis (DDD) liegen für Desloratadin mit 0,63 Euro denn auch gleich 6-fach höher als für Loratadin (0,10 Euro, bezogen auf Lora-ADGC®) [6]. Nach eingehender Recherche in Pubmed fand sich auch 15 Jahre nach Markteinführung keine klinische Studie, die eine überlegene Wirksamkeit von Desloratadin gegenüber Loratadin bei allergischer Rhinitis belegt und den Preis rechtfertigen könnte. Bereits bei Zulassung wurde die Substanz als Pseudoinnovation abgestempelt, die eher aus wirtschaftlichen als aus medizinischen Gründen den Markt bereicherte. Dennoch ist und bleibt Desloratadin eines der verordnungshäufigsten Antihistaminika in Deutschland. Kürzlich dachte man darüber nach, Desloratadin aus der Rezeptpflicht zu entlassen [4]. Der Sachverständigen-Ausschuss beim BfArM gab die Empfehlung dazu, der Gesetzgeber lehnte ab. Desloratadin bleibt somit vorerst rezeptpflichtig, auch wenn es sich in Sicherheitsaspekten nicht von Loratadin unterscheidet.

Die Verkaufsabgrenzung dient auch zur Steuerung der Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenversicherung. Glück für Patienten, die durch die ärztliche Verordnung sparen, Pech für diejenigen, die die Kriterien für eine antiallergische Therapie auf Rezept nicht erfüllen. Es gibt Stimmen, die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln von der Verschreibungspflicht zu entkoppeln und Platz für Ausnahmen zu schaffen. Eine Streitfrage auf lange Sicht.

Nach der Saison ist bekanntlich vor der Saison.

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