Aus dem Gleichgewicht


Dr. Tanja Saußele, Stuttgart

Unter Schwindel versteht man eine Störung des Gleichgewichtssinns. Betroffene nehmen eine Scheinbewegung zwischen sich und der Umwelt wahr und haben das Gefühl, sich nicht sicher im Raum bewegen zu können. Wenn dieses Gefühl nur nach einer Karussellfahrt oder beispielsweise beim Herunterschauen aus entsprechender Höhe auftritt, gibt es keinen Anlass zur Sorge. So hat bereits Goethe von Schwindel berichtet, wenn er vom Straßburger Münster herunterblickte. Um Abhilfe zu schaffen, erstieg Goethe „den höchsten Gipfel des Münsterturms“ und wiederholte diese Übung so oft, bis ihm „der Eindruck […] ganz gleichgültig ward“ [3].

Was sollten Sie hingegen einem Patienten empfehlen, wenn der Schwindel immer wiederkehrt oder zum Beispiel beim Fahrradfahren auftritt? Hier ist unbedingt ein Arztbesuch anzuraten. Bedrohliche Ursachen wie Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck oder ein Schlaganfall müssen ausgeschlossen werden. Denn etwa 50 % aller Schwindelursachen haben einen internistischen Grund und nur 30 % haben eine vestibuläre Ursache, sind also durch das Gleichgewichtssystem bedingt. Allein durch die richtigen diagnostischen Fragen kann der Arzt bereits bei bis zu 70 % der Patienten eine richtige Verdachtsdiagnose stellen, so die Autoren Dr. Michael und Dr. Gilfe Reiß in der Übersicht ab Seite 305. Im Artikel werden die wichtigsten akuten Schwindelsyndrome und ihre Therapie besprochen: beispielsweise der benigne paroxysmale Lagerungsschwindel, Morbus Menière und die akute Neuritis vestibularis, eine einseitige Schädigung des Gleichgewichtsorgans. Diese Schwindelursachen sind weniger bedrohlich und können durch entsprechende Lagerungsmanöver oder eine Arzneimitteltherapie effektiv behandelt werden. So auch der Migräneschwindel, der häufig mit Übelkeit einhergeht. Hier stehen wirksame Arzneimittel aus der Selbstmedikation zur Verfügung: Dimenhydrinat, Analgetika und Triptane. Doch wie wählt man beispielsweise das geeignete Triptan für einen Migränepatienten aus? Diese und viele weitere Fragen aus dem Beratungsalltag von Kopfschmerzpatienten beantwortet Dr. Charly Gaul, der uns beim letzten MMP-Webinar auf den aktuellen Stand der Kopfschmerztherapie gebracht hat, ab Seite 320.

Wie wird aber der „Schwindel im Alter“ behandelt, der der Schwindelart „Benommenheit“ zugeordnet wird [1]? Dimenhydrinat (Vertigo-Vomex®) ist zum Beispiel für die Indikation „symptomatische Therapie von älteren Patienten mit Schwindel unterschiedlicher Genese“ zugelassen [2]. Hier sollte die Anwendung, wenn überhaupt, nur kurzfristig erfolgen. Neben der sedierenden Wirkung prägen die anticholinergen Effekte das Bild der unerwünschten Wirkungen. Zudem würde eine längere Einnahme die zentrale Kompensation des Gleichgewichtssystems beeinträchtigen. Sehr gängig bei der Behandlung von Schwindel bei älteren Patienten ist auch das homöopathische Kombinationspräparat Vertigoheel®, für das es aber keine Placebo-kontrollierten Studien gibt [1]. Es existieren lediglich zwei kontrollierte Studien, in denen es mit Ginkgo biloba oder Betahistin verglichen wurde [1]. Die Wirksamkeit war zwar mit Betahistin vergleichbar, Betahistin ist aber nur für die Behandlung von Morbus Menière zugelassen [1].

Schwindel im Alter kommt durch Veränderungen der informationsverarbeitenden Strukturen im Körper zustande. Dazu gehören zum Beispiel eine schlechtere Durchblutung des Innenohrs, eine langsamere Reizübertragung, Einschränkungen im räumlichen Sehen durch Augenerkrankungen (grauer und grüner Star, altersabhängige Makuladegeneration, Netzhauterkrankungen) und die Abnahme der Muskelmasse und die damit verbundene geringere Reaktionsfähigkeit und schlechtere Koordination. Bei diesen Patienten steht die Behandlung der Begleiterkrankungen im Vordergrund. Für eine bessere Orientierung und zur Sturzprophylaxe sollte man den Patienten eher dazu raten, entsprechende Hilfsmittel in Anspruch zu nehmen. Hierzu gehören eine Brille, Hörgeräte und eine Gehhilfe bzw. ein Rollator. Auch sollte immer auf eine ausreichende Raumbeleuchtung geachtet werden. Um das Selbstvertrauen der Patienten zu stärken und die Angst vor Stürzen zu nehmen oder dieser vorzubeugen, sollten sie aktiv bleiben und langfristig an einem muskulären und dynamischen Training teilnehmen (Tanzen, Gymnastik).

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