Saskia Fechte, Stuttgart
In seltenen Fällen sprechen Patienten nach der OP vorübergehend ausschließlich in einer Fremdsprache. Foto: SelectStock/istockphoto.com
Nach einer Operation – oder vielmehr nach einer Narkose – können verschiedene Arten der Desorientierung auftreten. Dazu gehören Orientierungsstörungen in Bezug auf Ort, Zeit, die eigene Person sowie die Unfähigkeit, nahestehende Personen zu erkennen. Weniger häufig dokumentiert sind Fälle, in denen ein Verlust der Muttersprache auftritt und Patienten plötzlich in einer anderen Sprache kommunizieren. Das sogenannte Fremdsprachensyndrom, früher „Nicht-Muttersprachensyndrom“ genannt, ist gekennzeichnet durch die plötzliche Unfähigkeit, die eigene Muttersprache zu verstehen und zu sprechen. Stattdessen kommunizieren die Patienten in einer Fremdsprache, die sie in der Schule oder später im Erwachsenenalter gelernt haben.
Untersuchungen zur Pathophysiologie sind schwierig, denn Fallberichte sind selten. Autoren einer diesbezüglichen Analyse fanden acht relevante veröffentlichte Fälle. Demnach gibt es keine Hinweise dafür, dass es sich um einen Phänotyp einer psychischen Störung handeln könnte, weitere neurologische Auffälligkeiten waren bei den Patienten nicht vorhanden. Das Fremdsprachensyndrom ist außerdem abzugrenzen vom Foreign Accent Syndrome, bei dem Patienten mit einem veränderten Sprachrhythmus sprechen, der für Zuhörer wie ein fremdsprachiger Akzent erscheint [1]. Einigen Patienten war nicht bewusst, dass sie fremdsprachig sprechen, zählen, sogar schreiben, oder sie konnten sich später nicht daran erinnern. Die muttersprachlichen Fähigkeiten stellten sich nach bis zu 28 Stunden wieder ein, meist spontan und vollständig. Interessant im Zusammenhang mit dem postoperativen Verlust der Muttersprache sind Hinweise darauf, dass native und nicht-native Sprachen in räumlich getrennten Bereichen im Gehirn gespeichert sind [2].
Eventuell handelt es sich um Erscheinungen im Rahmen eines postoperativen Delirs, das durchaus mit Beeinträchtigungen der Sprache verbunden sein kann. Gegen diese These könnte allerdings die relativ lange Erholungszeit sprechen. Normalerweise treten Symptome der häufig auftretenden postoperativen Orientierungsstörung innerhalb von 30 Minuten nach Beendigung der Anästhesie auf und dauern 15 bis 30 Minuten an. Allerdings gibt es hier auch Ausnahmen mit Beeinträchtigungen von bis zu zwei Tagen.
Für die Prophylaxe eines postoperativen Delirs scheint die Wahl der verwendeten Anästhetika relevant zu sein sowie verschiedene Maßnahmen vor, während und nach der Narkose [3]. Präoperatives Screening auf kognitive Defizite sowie die prophylaktische Gabe von Eisen sind mögliche Präventionsmaßnahmen zur Risikominderung, ebenso eine äußerst sorgsame Anwendung von Opioiden in der postoperativen Schmerzbehandlung. Sollte ein Zusammenhang zwischen postoperativem Delir und dem Fremdsprachensyndrom bestehen, könnten diese Einflüsse auch bei letzterem von Bedeutung sein. Um Anzeichen eines Delirs oder Auffälligkeiten wie einen Sprachwechsel zu bemerken und zu untersuchen, kommt aufmerksamem und geschultem Pflegepersonal eine besondere Rolle zu. Denn weitere Analysen sind notwendig, um aufzudecken, was genau hinter dem Fremdsprachensyndrom steckt.
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